Erinnerung – Identität – Interkulturalität /Bericht über die Veranstaltung
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Von Markus Gippert
Der Abend, zu dem ca. 35 Interessierte gekommen waren, wurde von Mahira Yigit-Hahn vom Kölner Appell gegen Rassismus e.V. eröffnet und moderiert.
Zunächst stellte sie die Referentinnen der Veranstaltung vor: die Neuköllner Stadtteilmutter Aysel Algan, Christina Meier vom Projekt Spurensuche: „Deutsche, Sinti und Roma“ und Dr. Astrid Messerschmidt vom Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der Technischen Universität Darmstadt.
Bevor die Referentinnen zu Wort kamen stellte Dogan Akhanli das Buch „Versprich mir, dass du am Leben bleibst“ von Isaak Behar vor.
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Der Autor berichtet seine Lebensgeschichte, und somit, so Akhanli, ein „Stück Berliner Geschichte, aber auch ein Stück türkische, jüdische und deutsche Geschichte“. Isaak Behar überlebte als sephardischer Jude den Krieg mitten in Berlin als „U-Boot“ und berichtet in seiner Autobiographie eindrücklich über seinen Überlebenskampf.
Isaak Behar lebt als Gemeindeältester der Jüdischen Gemeinde immer noch in Berlin und engagiert sich dort in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit.
Schließlich las Mahira Yigit-Hahn einen Absatz aus Behars Buch vor. Die künftigen Veranstaltungen der Reihe „Erinnern für die Menschenrechte“ sollen ebenfalls mit einer Buchvorstellung beginnen.
Astrid Messerschmidt, der nun das Wort übergeben wurde, leitete ihren Vortrag mit einem Zitat des bayrischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein ein. Im Hinblick auf Bedingungen für die Einbürgerung sagte dieser: „Was wichtig ist, ist die Achtung vor weltlichen Gerichten und die richtige Einordnung der deutschen Geschichte. Es geht nicht, daß Einbürgerungswillige zwar Stalin für einen Verbrecher halten, aber über Hitlers Taten hinwegsehen“. In dieser Äußerung zeige sich folgendes: Zunächst sei zu sehen, dass den Zuwanderern ein problematisches Verhältnis zur deutschen Geschichte unterstellt werde. Auf der anderen Seite implizierten Becksteins Worte, dass die Deutschen das „einzig richtige“ Verhältnis zur NS-Zeit hätten. Messerschmidt meint in der politischen Kultur Deutschlands sogar einen gewissen Stolz auf eine gut gelungene Aufarbeitung der Geschichte zu erkennen. Auf dieser Haltung basiert die Forderung an die Einwanderer, sich den „deutschen“ Blick auf die Geschichte zu Eigen zu machen, wenn diese in Deutschland leben wollten. „Richtiges“ Wissen über die deutsche Geschichte würde somit zu einem zentralen Kriterium für Einbürgerung und Integration, zu einem „Prüfungs- und Disziplinierungsinstrument“. Astrid Messerschmidt sieht derartige Ansichten als Nachwirkungen des kolonialen Selbstverständnisses: Die „zivilisierten“ Europäer sähen sich in der Pflicht, die „unzivilisierten“ Völker aufzuklären. Neben diesem postkolonialen, „aufgeklärten“ Selbstbild zeigten sich aber noch andere Tendenzen. Wenn etwa Volker Kauder auf eine deutsche „Schicksalsgemeinschaft“ hinweist, zu der sich Zuwanderer „bekennen“ müssten, konstruiere er die Vorstellung einer dem Schicksal unterworfenen homogenen „Volksgemeinschaft“ – was bedenklich an völkische Ideologien gemahne. Die in der Geschichte immer schon vorhandene kulturelle Heterogenität würde hier verleugnet – und somit fänden auch „andere“ Formen von Erinnerungskultur keine Berechtigung. Hier setzt Messerschmidt mit ihrer Forderung an, auf die NS-Zeit bezogene Erinnerungsarbeit nicht als exklusiv deutsche Angelegenheit zu betrachten. Andere Zugänge müssten zugelassen werden, ein multiperspektivischer Blick auf die Geschichte müsse sich etablieren.
Die beiden Projekte, die anschließend vorgestellt wurden, lassen sich als Möglichkeiten sehen, eine solche Erinnerungskultur zu gestalten.
Aysel Algan, die nun das Wort hatte, begann ihren Vortrag damit, dass sie das „Stadtteilmütter“-Projekt aus Berlin Neukölln vorstellte. Mit sozialpädagogischer Begleitung und Schulung geben Mütter aus Neukölln Wissen zum Thema Erziehung, Bildung und Gesundheit an andere Mütter weiter. Das besondere dabei ist, dass diese Beratungsgespräche (meist sind es Hausbesuche) auch in der Muttersprache, also z.B. in Türkisch, abgehalten werden können.
Vor allem mit ihren Kindern, so berichteten einige der Neuköllner Mütter, kamen sie oft auf die deutsche Vergangenheit und den Nationalsozialismus zu sprechen. Ein Thema, das die Schüler in der Schule behandelt hatten – über das ihre Mütter aber nur sehr wenig wussten. Aus dieser Erfahrung heraus organisierten 15 Stadtteilmütter türkischer und arabischer Herkunft ein Projekt, in dem sie sich intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen wollten. Das Projekt hatte vor allem drei wichtige Bestandteile: In vorbereitenden Seminarstunden und Gesprächen ging es darum, das vorhandene Wissen über die NS-Zeit zu erfassen und zu erweitern. Zudem wurde jede Teilnehmerin aufgefordert, ein persönliches Protokoll des Bildungsprojektes zu führen: In eigenen Worten sollten die Eindrücke, Empfindungen und nicht zuletzt das erworbene Wissen festgehalten werden. Der vielleicht wichtigste Teil des Projektes aber waren verschiedene Exkursionen und Besichtigungen, so zum Beispiel zur Gedenkstätte Ravensbrück, dem ehemaligen KZ für Frauen, dem Haus der Wannsee-Konferenz, dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas aber auch der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und dem Denkmal in der Rosenstraße. Ein Schwerpunkt der Exkursionen lag auch auf der NS-Vergangenheit des eigenen Stadtteils.
Aysel Algan zeigte viele Fotos, die während des Projektes entstanden. Sie zitierte aus den Protokollen der Teilnehmerinnen, welche die persönliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit authentisch dokumentierten.
Als dritte Referentin berichtete Christina Meier vom Projekt „Spurensuche gemeinsame Geschichte“, das sie begleitet hat. Sie zeigte uns eine ca. 10-minütige Version des Filmes, welcher während des Projektes entstand.
Vor zwei Jahren fanden sich ca. 20 Kölnerinnen und Kölner unterschiedlicher Herkunft zusammen - Roma aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien, Menschen aus der Türkei, Griechen und Deutsche. Ihr Ziel war es die gemeinsame Geschichte, vor allem in Hinblick auf den Holocaust, zu erkunden. Im April 2006 fuhren sie gemeinsam nach Auschwitz. Der Film zeigt Eindrücke von dieser Reise und lässt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort kommen. Eindrücklich zeigt der Film ihre Trauer und ihr Entsetzen angesichts des Schreckens, der in Auschwitz stattfand. In einer Szene äußert sich ein Teilnehmer darüber, dass auf der Reise nach Polen und in der gemeinsamen Beschäftigung mit dem Holocaust die sprachlichen oder kulturellen Differenzen zwischen den Gruppenmitgliedern immer mehr in den Hintergrund traten und sie sich fortan nur noch als Menschen betrachteten.
In der abschließenden Diskussionsrunde sprachen die Gäste und Referentinnen vor allem über die Frage, wie dem neu erstarktem Antisemitismus und Rassismus begegnet werden kann. Astrid Messerschmidt machte den Unterschied zwischen beiden Begriffen vor allem in Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte deutlich. So sei Antisemitismus zwar auch rassistisch, zeichne sich aber vor allem dadurch aus, dass er einen übermächtigen Feind und zugleich ein unterlegenes Selbstbild konstruiere – Im Gegensatz zum Rassismus, der im Machtgefälle des Kolonialismus verwurzelt ist.
Am Ende blieb die Frage offen, ob man aus der Geschichte selbst lernen könne oder ob, wie Astrid Messerschmidt es in Anschluss an ihren Vortrag sagte, der Blick auf unseren Umgang mit der Geschichte nicht viel lehrreicher sei.
Fotos: Bernadetta Zakrzewska