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Bericht: „Warum wir die Idee der multikulturellen Gesellschaft nicht aufgeben dürfen“


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Lesung und Diskussionsabend mit Emine Sevgi Özdamar, Jorgos Valassiadis und Raffi Kantian, Moderation: Niki Eideneiner
Von Markus Gippert

so der Titel des Lese- und Diskussionsabend, den der Kölner Appell gegen Rassismus e.V. am 4. April veranstaltete. Von diesem Motto geleitet sprachen die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar, ihre Kollegen Raffi Kantian und Jorgos Valassiadis und die Verlegerin und Übersetzerin Niki Eideneier, über Erfahrungen, die sie mit multikulturellem Zusammenleben gemacht haben. Dabei stand vor allem eine Stadt im Zentrum: Istanbul.
Veranstaltungsprogramm April, Mai, Juni 2008 als PDF

Als Ort, der eine lange multikulturelle Tradition hat und an dem, so Eideneier, die Menschen friedlich und verständnisvoll zusammengelebt, „die Stadt geliebt, verehrt und zur Protagonistin vieler literarischer Bücher gemacht haben“, könne die Vielvölkerstadt Istanbul als Paradebeispiel einer multikultureller Gesellschaft gelten. Dass das Zusammenleben aber nicht immer friedlich war, sondern auch von Rassismus, Vertreibung und Gräueltaten gegenüber den ansässigen Minderheiten geprägt war, sollte nicht vergessen werden. So machten Özdamar, Kantian und Valassiadis, die alle drei lange Zeit in Istanbul gelebt haben, in ihren Werken zwar ein liebevolles Verhältnis zu dieser Stadt deutlich, zeigten aber auch, so Eideneier, dass dieses Verhältnis „voller Widersprüche und oft äußerst schmerzhaft“ gewesen sei.

Nach einigen einleitenden Worten war es Emine Sevgi Özdamar, die dem Publikum vorgestellt wurde. Niki Eideneier gab einen Überblick über das Leben und Werk der international bekannten Schriftstellerin. 1946 in Malatia in der Türkei geboren, wuchs sie in Istanbul auf und kam zum ersten Mal als 19-Jährige nach Deutschland. Zunächst ohne jegliche Deutschkenntnisse zu haben, arbeitete sie zwei Jahre lang als Gastarbeiterin in einer Westberliner Fabrik. Später besuchte sie eine Schauspielschule in Istanbul. Nach einer Karriere als Schauspielerin in der Türkei lebte und arbeitete sie ab Ende der Siebziger Jahre auch in Frankreich und Deutschland, als Schauspielerin, Autorin und Regisseurin. 1990 erschien ihr Erzählband „Mutterzunge“, zwei Jahre später ihr erster Roman, „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“, für den sie den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt.
In ihrem Buch „Die Brücke vom Goldenen Horn“ (2002), aus dem Özdamar nun las, berichtet sie, mit starken autobiographischen Anklängen, von der Geschichte einer jungen Türkin, die sich nach Berlin aufmacht, um dort Geld zu verdienen, um in Istanbul eine Schauspielschule besuchen zu können. Özdamar beschreibt das Leben ihrer Protagonistin im Berlin der späten 60er Jahre, ihre Arbeit in einer Elektronikfabrik, dem Zusammenleben in einem Wohnheim und den Problemen mit der deutschen Sprache. Das aufregende und brodelnde Berliner Leben zur Zeit der Studentenunruhen und der sexuellen Revolution, irritiert die junge Protagonistin zunächst, doch als sie nach Istanbul zurückkehrt, hat sich ihre Perspektive gewandelt: Nun ist es ihre alte Heimat, die ihr brutal und fast albtraumhaft erscheint. Vom gesellschaftlichen Aufbruch in Westeuropa ist in der politisch instabilen Türkei nichts zu spüren. Der zweite Abschnitt, den Özdamar aus ihrem Buch las, spielt einige Jahre später: Die Protagonistin, nun überzeugte Revolutionärin, bricht mit ihrem Freund auf, den armen Bauern an der Irakisch-Iranischen Grenze zu helfen. Mit ihrem Idealismus stoßen die beiden dort jedoch vor allem auf Unverständnis.

Der nächste Gast, den Niki Eideneier vorstellte, war der griechischstämmige Schriftsteller Jorgos Valassiadis. Als Nachfahre einer alten, in Istanbul ansässigen Familie emigrierte er nach den Verfolgungen der Griechen 1965 nach Deutschland. Niki Eideneier beschreibt Valassiadis als „Grenzgänger zwischen einer Stadt - Istanbul -, einem Land - Deutschland - und zwei Kontinenten“. Valassiadis schreibt auf deutsch, türkisch und griechisch. Sein erster Roman „Und in Tatavla schneit es“, erscheint in Kürze auf deutsch. Die beiden Ausschnitte, die Valassiadis aus seinem autobiographischen Roman las, machen die gegensätzlichen Erfahrungen mit dem multikulturellen Zusammenleben in Istanbul, die Eideneier eingangs beschrieb, sehr deutlich: Die Kindheit der Ich-Erzählers in einem überwiegend von Griechen bewohnte istanbuler Viertel erscheint als das verlorene Paradies, eine Zeit des friedlichen, selbstverständlichen Zusammenlebens von Türken, Griechen und anderen Volksgruppen. Demgegenüber steht der zweite Abschnitt, den Valassiadis vorlas, in welchem er den Pogrom gegen die griechische Bevölkerung im Jahr 1955 beschreibt. Sind es zunächst nur erschreckende Berichte über den wütenden Mob, der alles kurz und klein schlägt, die in die vormals heile Welt durchdringen, sieht sich der Ich-Erzähler und seine Familie schließlich selbst mit der Gefahr konfrontiert. Die damaligen Ereignisse waren für Valassiadis Anlass, die Türkei zu verlassen. Doch vielleicht, so vermutete Niki Eideneier, sei die Sehnsucht nach dem für immer verlorenen Paradies der Kindheit für Valassiadis Anlass und Antriebskraft für seine Literatur.

Schließlich stellte Eideneier den dritten Gast vor: den Autoren und Übersetzer Raffi Kantian. Kantian, 1945 als Sohn armenischer Eltern in Istanbul geboren, lebt seit seinem Studium in Deutschland. Er schreibt auf armenisch, türkisch und deutsch und hat mehrere Erzählbände veröffentlicht, zudem ist er als Übersetzer ins Armenische und aus dem Armenische ins Deutsche tätig. Er ist Herausgeber mehrerer Werke über die Armenische Geschichte und den Genozid.
Für die heute Lesung hat Kantian seine monologische Erzählung „Ich, die Nadel, Ich“ ins Deutsche übertragen. Darin richtet sich die Rede des Ich-Erzählers an eine nach einer Vergewaltigung traumatisierten Frau. Es wird klar, dass sie Armenierin ist, und der Vergewaltiger ein Türke, und dass hier eine Gräueltat im Zuge des Genozids beschrieben wird.
Über die Gräueltaten an den Armeniern, das Thema, welches in Kantians Leben ein große Rolle spielt und das auch seine Literatur immer wieder berührt, müsse er, so Kantian mit „kaltem Verstand“ schreiben, er müsse sich Distanz schaffen, um überhaupt schreiben zu können.

In der nachfolgenden Diskussion machten die Autoren deutlich, dass es in ihren Beschreibungen über die schrecklichen Ereignisse in der türkischen, armenischen und griechischen Geschichte nicht darum ginge, Schuldige zu benennen. Dies sei genau der falsche Weg. Stattdessen gelte es, so Niki Eideneier, „sich an das Gute zu erinnern und das Schlechte nicht zu vergessen“. Letztlich sei ein friedliches Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft, wie sie einst zum Beispiel in Istanbul verwirklicht war, die einzige Option für die Zukunft.
Literatur könne aber, so Kantian, ihren Beitrag leisten, indem sie versöhnlich wirke. Schilderungen von grausamen Ereignissen der Vergangenheit könne beide Seiten, die nachkommen der Opfer wie auch der Täter, emotional berühren und so zueinander führen. Dass letztlich aber der Dialog, die Diskussion über die eigene Vergangenheit und Gegenwart - so, wie es diese Veranstaltung zeige - die Grundlage für ein multikulturelles Zusammenleben sei, bliebe unumstritten. Von daher sei es ein erster Schritt, die Möglichkeiten zur offenen Diskussion zu erweitern – eine Forderung, die insbesondere für die Türkei gelte.

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