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Dr. Matin Baraki – Rückzug aus Afghanistan


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von Teresa Huhle

Für einen Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan plädiert Dr. Matin Baraki, der auf Einladung des Kölner Friedensforums (in der Vortragsreihe „Krieg und Frieden“) und des Kölner Appell gegen Rassismus (in der Vortragsreihe „Erinnern für die Menschenrechte“) am 23. April zu einem Vortrags –und Diskussionsabend über Geschichte und Gegenwart Afghanistans in die Alte Feuerwache nach Köln kam. Moderiert wurde der Abend von Elvira Högemann vom Kölner Friedensforum. In einleitenden Worten stellte sie Dr. Baraki vor: Er wurde in Afghanistan geboren und arbeitete dort als Lehrer. Er lebt seit vielen Jahren in der BRD und hat 1995 zu den afghanisch-deutschen Beziehungen von 1945 bis 1978 promoviert. Er ist Lehrbeauftrager am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg.

Dann ergriff Dr. Baraki selbst das Wort und umriss Ziel und Inhalt seines Vortrags. „Der Krieg ist ausgebrochen“ – diese Formulierung, die selbst in der Friedensforschung auftauche kritisierte Dr. Baraki scharf. Kriege brechen nicht aus, Kriege führe jemand mit bestimmten Zielen durch. Seine zentrale These war es, dass Afghanistan seine geostrategische Bedeutung zum Verhängnis wurde und wird. Dies sei im ganzen 19. und 20. Jahrhundert so gewesen, und treffe insbesonders für die Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn des Kalten Krieges und nach dem 11. September 2001 zu.

Geschichte

Zunächst gab Dr. Baraki einen Überblick über die Geschichte Afghanistans seit den 1970er Jahren. Damals gehörte Afghanistan zu einem der 25 ärmsten Länder der Welt, 2% der Bevölkerung verfügte über 75% des Bodens, 80-85% der Bevölkerung waren landlose, arme Bauern. Zudem betrug die Analphabetenquote 97%, lag die Lebenserwartung bei 40-45 Jahren und hatte Afghanistan die zweithöchste Kindersterblichkeit weltweit zu verzeichnen. Gegen diese äußerste Unterentwicklung seien junge engagierte Leute wie Dr. Baraki selbst angegangen. Die „Demokratische Republik Afghanistan“, die nach dem Militäraufstand von 1978 ausgerufen wurde, bezeichnete Dr. Baraki als weder sozialistisch noch kommunistisch. Ihr Ziel sei es gewesen Afghanistan grundlegend umzugestalten. Das verdeutlichte er an drei Maßnahmen: Der Landreform zur gerechteren Verteilung des Bodens, der Alphabetisierungskampagne, anhand derer es gelang innerhalb von sechs Monaten 1,5 Millionen Menschen Lesen und Schreiben beizubringen und dem Verbot der Polygamie. Doch diese Reformen seien auf Widerstand in der Bevölkerung gestoßen. Die Alphabetisierungskurse, die zum großen Teil von StudentInnen in den Semesterferien durchgeführt wurden, wurden von den Mudschaheddin sabotiert, da die Kurse in gemischten Klassen durchgeführt wurden. Die Mullahs, die gleichzeitig Stammesführer, geistige Führer und Großgrundbesitzer waren, empfanden alle Reformen als Angriff auf ihre Rechte. Sie flüchteten nach Pakistan und bauten an der Grenze Widerstandslager auf, die als Basis für Sabotageakte gegen die afghanische Regierung und die sowjetische Armee dienten, die sich seit 1979 zur Stütze der Regierung in Afghanistan befand.

Um die Afghanistan - Politik der USA ab 1979 zu beschreiben, warf Dr. Baraki ein Foto an die Wand, auf dem der damalige Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, Zbginiew Brzezinski, gemeinsam mit afghanischen Offizieren zu sehen ist. Brzezinski hatte viele Jahre später in einem Interview verkündet, Robert Gates und die CIA hätten die Mudschaheddin schon im Juli 1979, also sechs Monate bevor im Dezember 1979 die sowjetische Armee in Afghanistan stationiert wurde, unterstützt. Die erste Afghanistan-Direktive der CIA stamme vom 3. Juli 1979. Damit widersprach Brzezinski der gängigen Darstellung seitens der USA, wonach ihre Unterstützung der Mudschaheddin eine Reaktion auf den sowjetischen Einmarsch gewesen sei. Dr. Baraki sagte, das lasse nur eine Interpretation zu: Die USA wollten die Sowjetunion in die „afghanische Falle“ locken. Dafür sprächen auch die Zahlen: Der CIA zahlte insgesamt 700 Millionen US-Dollar an die Mudschaheddin, das entspreche 80% des CIA-Sonderbudgets und sei die größte Operation in der Geschichte der CIA gewesen. Es habe tonnenweise Waffenlieferungen gegeben, u.a. auch Singer-Raketen um sowjetische Flugzeuge abzuschießen. Das war das erste Mal, dass diese Raketen an ein Nicht-NATO-Mitglied geliefert wurden. All diese Fakten, so Dr. Baraki, sind ein Zeichen für die geostrategische Bedeutung die Afghanistan für die Großmächte hatte und hat.

Weiter ging es im Schnelldurchlauf durch die Geschichte Afghanistans: Beim Genfer Abkommen von 1988 einigten sich die afghanische Regierung, die Mudschaheddin, der Iran, die Sowjetunion und die USA auf den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Danach beendeten die USA auch ihre Unterstützung der Mudschaheddin, diese bekämpften aber weiterhin die afghanische Regierung, welche wiederum nach einer nicht-militärischen Lösung des Konflikts suchte und den Mudschaheddin 25% der staatlichen Ämter anbot. Zudem sollte es Gespräche mit Willi Brandt als Vermittler geben, die CIA riet den Mudschaheddin jedoch von diesem Treffen ab. 1992 kam es zur geregelten Machtübernahme an die gemäßigten Mudschaheddin. Ihre erste Maßnahme war es, alle Frauen aus öffentlichen Ämtern zu entfernen. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeiteten im Bildungs- und Gesundheitswesen zu 80% Frauen. Die Mudschaheddin bekämpften sich in den Folgejahren gegenseitig und zerstörten die komplette Infrastruktur Afghanistans. Alle Universitäten und Ministerien wurden zerstört. Die internationale Gemeinschaft, laut Dr. Baraki mit den USA und der NATO gleichzusetzen, verlor ihr Interesse an Afghanistan.

Den Prozess der dann einsetzte, führt Dr. Baraki erneut auf die geostrategische Bedeutung Afghanistans zurück. Denn nun entdeckten die transnationalen Energiekonzerne Afghanistan für sich, nachdem Rohstoffvorkommen und Erdgas im kaspischen Raum gefunden wurden. Die Mudschaheddin wurden in die USA eingeladen um sie in die Pläne großer Pipelines durch Afghanistan einzuweihen. Doch auch Pakistan hatte Interesse an der Kontrolle der Pipelines. Das war die Geburtsstunde der Taliban, welche Dr. Baraki als „KSK der afghanischen Mudschaheddin“ betitelte. Die Taliban bekamen in Pakistan eine militärische und ideologische Eliteausbildung und marschierten von dort aus über Nacht nach Afghanistan ein, erreichten im September 1996 Kabul und beherrschten bald 90% des Landes. Der Krieg hielt an.

Gegenwart

Während der Präsidentschaft Bill Clintons wurden Taliban-Ausbildungslager zerstört und dann – so Dr. Baraki – warteten die US-AmerikanerInnen auf den Anlass zum Angriff: „Hätte es den 11. September nicht gegeben, so hätte man ihn erfinden müssen“. Die Neo-Konservativen in den USA wussten direkt, die Schuldigen seien in Afghanistan zu finden. Die auf den Sturz der Taliban folgende Regierungsbildung kritisierte Dr. Baraki scharf. Bei der von deutschen Steuergeldern bezahlten Petersberg-Konferenz seien vier afghanische Delegierte, der ehemalige König Afghanistans, ehemalige Mudschaheddin und zwanzig US-Beobachter gewesen. Die dort gebildete Regierung sei sodann nach Kabul verlegt worden und unter den Schutz einer UNO-Truppe gestellt worden.

Die heutige Situation Afghanistans veranschaulichte Dr. Baraki anhand einer Karte der ISAF-Stützpunkte in Afghanistan, die zeige, dass sich das „Krebsgeschwür NATO“ über ganz Afghanistan ausbreite. Es gebe für Afghanistan keinen UNO-Auftrag, sondern lediglich einen NATO-Auftrag und der Name ISAF sei ein Etikettenschwindel. Afghanistan sei ein „Militärprotektorat der NATO unter Führung der Vereinigten Staaten“. Diese Meinung unterstrich Dr. Baraki mit einer Anekdote über die Wahl Karsais zum Interimspräsidenten Afghanistans. Die Wahl habe in einem Zelt der GTZ stattgefunden und nur wer für Karsai stimmen wollte, habe das Zelt betreten dürfen. Stimmzettel seien verkauft worden und am Ende hätten 24 Personen mehr für Karsai gestimmt als anwesend waren. Die New York Times habe die Wahl „billiges amerikanisches Theater“ betitelt. Dann zeigte Dr. Baraki Bilder vom zerstörten Kabul um seine Kritik am Wiederaufbau zu unterstreichen. Die Bilder von 2005 zeigen eine Ruinenstadt. Aufgebaut würden lediglich Luxushotels und Häuser für Nichtregierungsorganisationen. Ein ganzer Stadtteil gehöre dem ehemaligen Arbeitsminister.
Auch auf das Problem des Drogenhandels kam Dr. Baraki zu sprechen. Vor dem 11. September habe es nur an der Grenze zu Pakistan vereinzelt Mohnanbau gegeben, heute stehe Afghanistan mit 20.000 t Rohopium an der Weltspitze des Anbaus, der sich inzwischen auf alle 32 Provinzen ausstrecke.

Vision

An dieses düstere Szenario schloss Dr. Baraki die Frage an: „Was sollen wir als Friedensbewegung tun?“ und ging kurz auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan ein. Vor dem 1. Weltkrieg habe Afghanistan in Deutschland als Tor zu Indien gegolten und an dieser geostrategischen Bedeutung Afghanistans auch für Deutschland habe sich bis heute nichts geändert. „Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern an den Grenzen der Verfassung“. Für diesen Satz erntete Dr. Baraki lauten Applaus. Es gebe für Afghanistan keine militärische Lösung, mit den NATO-Truppen im Land werde es keinen Frieden geben und er fordere die NATO und somit auch die deutsche Bundeswehr dazu auf, Afghanistan zu verlassen. Die Sorge, dass dann die Taliban wieder die Macht erlangen könnten sei unbegründet, denn diesen würde damit ihr Kampfgrund entzogen. Und wenn sie doch wiederkämen, sollten Truppen aus Ländern der Blockfreien Staaten oder der Konferenz der Islamischen Staaten in Afghanistan für Sicherheit sorgen. Es solle außerdem streng kontrollierte Wahlen für eine Ratsversammlung geben, die dann wiederum eine neue Regierung wählen solle. Das sei der Weg zum Frieden und nicht ein NATO-Einsatz in dem das Verhältnis der Ausgaben für Wiederaufbau und Militär 1 zu 900 sei.

Diskussion

Mit diesen Worten beendete Dr. Baraki seinen Vortrag, an den sich zahlreiche teils kritische Nachfragen anschlossen. Einige Fragen bezogen sich auf seine historischen Ausführungen, aber größtenteils wurden die aktuelle Situation in Afghanistan und Dr. Barakis Lösungsvorschläge diskutiert.

Zur Geschichte wurde beispielsweise nachgehakt, weshalb die Kräfte der Demokratischen Volkspartei mit ihren fortschrittlichen Ideen so weit vom Volk entfernt gewesen seien? „Nachher ist man immer schlauer“ entgegnete Dr. Baraki. Die Vorstellung, dass die Bevölkerung akzeptieren werde was „gut für sie ist“ sei falsch gewesen. Doch Dr. Baraki betonte an dieser Stelle, ohne externe Faktoren hätten die Afghanen mittelfristig ihre Probleme selbst gelöst und der „afghanische Fehler“ sei es gewesen sich mit der Sowjetunion einzulassen.
Auf die Gegenwart bezogen richteten sich die Fragen in erster nach den politischen Kräften in Afghanistan. Dr. Baraki sagte, die jetzigen Amtsträger seien zu 50% Amerika-Afghanen und Europa-Afghanen, das heißt Fremde, die teilweise nicht einmal über einen afghanischen Pass verfügten. In jedem Büro gebe es zudem einen amerikanischen oder europäischen Berater. Es gebe aber genug afghanische Kräfte um Afghanistan friedlich zu regieren. Ein Zuhörer wollte von Dr. Baraki genaueres über diese demokratischen Kräfte in Afghanistan wissen, auf welche Dr. Baraki seine Hoffnung setzt. Seine Antwort war, es müsse zunächst Wahlen mit unabhängigen Kontrollen geben, damit diese Kräfte sich entfalten könnten. Er sei nicht naiv, aber es gebe demokratisches Potential. Die jetzige Regierung sei die korrupteste, die Afghanistan jemals gehabt habe und es gebe eine Alternative. Zudem seien Präsident Karsai und die anderen Regierungsmitglieder Marionetten der USA. Warum er glaube, dass in Afghanistan so schnell eine demokratische Tradition entstehen könne, lautete eine weitere Frage. In Afghanistan gebe es eine eigene demokratische Tradition die bis 1747 zurückreiche entgegnete Dr. Baraki. Damals habe es basisdemokratische Versammlungen gegeben.
Nach seiner Meinung über den von Deutschland in Afghanistan geleisteten Wiederaufbau gefragt, antwortete Dr. Baraki mit dem Ausspruch von Kurt Tucholsky „Soldaten sind Mörder“ – und keine Entwicklungshelfer. Der Wiederaufbau sei lediglich ein Legitimations-Alibi. Beispielsweise seien in Kundus 240 Bundeswehr-Soldaten stationiert und die dortige Basis habe alleine 120 Millionen Euro für die Infrastruktur erhalten. Die Basis ist die größte deutsche Militärbasis außerhalb Deutschlands. Auf die kritische Frage, welche Staaten er denn genau meine, die anstatt der NATO Schutztruppen nach Afghanistan schicken sollten, erwiderte Dr. Baraki, das müssten Afghanistan und die UNO bestimmen, er könne sich z.B. Indien, Indonesien oder Südafrika vorstellen. Auch die Einrichtung einer Wahrheitskommission und aktive Versöhnungspolitik sei denkbar.
Abschließend betonte Dr. Baraki die afghanische Bevölkerung habe genug von den Taliban, sei politisiert und wach.

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